Bauhaus-Universität Weimar: die Arbeit eines Studenten, der sich vom neuen Bürogebäude von Marmi Rossi inspirieren ließ

Uffici Marmi RossiNicolò Gallucci Architekturstudent im 3. Jahr an der renommierten Bauhaus-Universität Weimar, hat für das Fach‚ Architektur: Theorie u. Geschichte einen erfolgreichen Essay über das Bürogebäude von Marmi Rossi geschrieben "Architektur und Ästhetik", aus dem wir hier Auszüge veröffentlichen...

 

ARCHITEKTUR UND ÄSTHETIK

Architektur sollte sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen, da schließlich der Mensch selbst Architektur erfunden hat, um seine Lebensqualität zu verbessern.  

Heidegger erklärt das so: "Wir wohnen nicht, weil wir gebaut haben, sondern wir bauen und haben gebaut, insofern wir wohnen, d.h. als die Wohnenden sind".

Die Architektur ist in dem Moment entstanden, als der Mensch das Bedürfnis hatte, Schutz zu suchen, Räumlichkeiten zu definieren und den Innenraum klar vom Außenraum abzugrenzen.

Die Entwicklung der Gesellschaft hat also auch die Absicht der Architektur verändert. Sie wird nicht nur mehr funktional genutzt, sondern auch in statischer  und konkreter Form, um den eigenen sozialen Status zu zeigen. Schon in der Antike war man sich bewusst, dass sich Größe und Macht einer Stadt oder eines Herrschers nur mit Hilfe von Architektur ausdrücken lässt. Das erkennt man z.B. anhand der Pyramiden in Ägypten: es handelt sich hier nicht nur um einfache Grabstätten, sondern um ein Machtsymbol des Pharaos bzw. um die Verbindung zwischen ihm, dem Volk und den Göttern.  Symbolisierungen und Formen verkörpern die Größe einer Person unabhängig von der Funktion des Gebäudes. (Anm.d.Red.)

Funktionalität und Ästhetik sind in der Baugeschichte nicht immer im Einklang. Das Problem ist jedoch die Vergänglichkeit, vor allem wenn die Monumentalität einer Architektur die Geschichte und die ästhetischen Richtlinien seiner Zeit überdauert, während die Funktionalität der Architektur schon längst ihre Bedeutung verloren hat. Die Funktion einer Architektur ist zeitlich immer von der jeweiligen Gesellschaft abhängig und wenn sich diese Gesellschaft ändert, verändern sich auch Gewohnheiten und Bedürfnisse.

"Es gibt Bauten aus der Vergangenheit, bestimmte Kirchen, gewisse Paläste, die heute anderen Zwecken dienen; sie haben zwar überlebt, aber ihre Funktion geändert: noch heute benutzen bzw. besuchen wir sie. Das passiert, wenn das, was bleibt, nicht der Zweckmäßigkeit der Epoche entspricht, sondern der Schönheit; Schönheit und Poesie überdauern die Zeit." (Oscar Niemeyer)

Jeder Mensch nimmt Architektur in zwei Phasen wahr, zuerst erkennt er ihre Form und bildet sich eine eigene Meinung darüber, danach macht er sich über deren Funktion Gedanken. Die Funktion einer Architektur hängt von ihrer Form ab, da der Mensch Bezugspunkte benötigt, um sich die Räumlichkeiten vorstellen und deren Nutzung verstehen zu können.  

Aus Rücksicht auf die Arbeitsräumlichkeiten sind bei industriell genutzten Gebäuden Funktionalität und Ästhetik oft in einer Architektur vereint, denn gerade in Bürogebäuden steht Funktionalität im Vordergrund, um den Angestellten die besten Arbeitsbedingungen zu garantieren.  Die Ästhetik dagegen hat die Aufgabe, die Bedeutung und die Großartigkeit des Unternehmens, das den Bau des Gebäudes in Auftrag gegeben hat, zu zeigen.

Viele Unternehmen der Steinmetzbranche, in der seit langem ein großer Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Betrieben herrscht,  haben in den letzten Jahren ihr Unternehmen vergrößert, umgebaut oder neu gestaltet. So entstand mit der Zeit eine Art architektonischer Wettbewerb. 

Der Entwurf der Architektin Silvia Bettini sollte symbolisch die Erneuerung der Firma Marmi Rossi S.P.A. und den zukünftigen Generationswechsel darstellen, schließlich waren genau fünfzig Jahre seit der Firmengründung vergangen. 

In der Geschäftswelt ist es sehr wichtig, wie man die Firmenqualität präsentiert und Architektur kann dies konkret und direkt zeigen: der zeitgenössische Mensch fühlt sich von Neuheiten angezogen, gleichzeitig versucht er, eine Beziehung zwischen den Räumlichkeiten und Formen, die ihn umgeben, herzustellen.  Die Aufgabe der Architektin bestand nun darin, die Firmenqualität mit einer eindrucksvollen ästhetischen Architektur auszudrücken. Die Funktionalität kam rationalistisch gesehen erst an zweiter Stelle, d.h. der Entwurfsprozess – im Gegensatz zu den Funktionalitätsarchitekten - begann von außen, die Innenräume wurden später geplant. Auch wenn man sich ganz auf die äußere ästhetische Architektur konzentriert, werden die Innenräume mitfestgelegt, da sich diese der Gebäudeform anpassen müssen.  

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Die Idee des Entwurfs bekam die Architektin dank der Monumentalität eines Natursteinrohblocks, denn die riesige Dimension und das beachtliches Gewicht dieses Naturphänomens lösen beim Betrachter Ehrfurcht und Respekt aus. Die Architektin hat das in architektonische Formen umgesetzt, um dieselben Emotionen zu wecken. "Das Gebäude – sagt die Architektin - soll an übereinander gestapelte, unterschiedlich große Marmorblöcke erinnern". Die massive und statische Architektur entstand also eigentlich durch Imitation eines Naturphänomens. 

Die Ästhetik der Architektur, die immer den Bedürfnissen des zeitgenössischen Menschen entspricht, muss auch den Richtlinien  der zeitgenössischen Gesellschaft folgen, um von ihr akzeptiert zu werden. Hierzu äußerte sich John Summerson so: "Schon in der Antike mussten Architekten ein bestimmtes stilistisches Dekor, wie dorisch, ionisch oder korinthisch, wählen und es dann gemäß Richtlinien und Richtwerte weiter entwickeln, ohne es dabei aus dem Zusammenhang zu reißen...". Wenn die Ausrichtung des Architekten rein ästhetisch ist, konzentriert er sich ganz auf den Symbolismus und Expressionismus der entworfenen Architektur. 

Die Architektin Silvia Bettini, konzentriert sich bei ihren Bauten sehr auf die Ästhetik, sie versucht gleichzeitig, eine gemütliche  Atmosphäre für den Bewohner bzw. Benutzer zu schaffen. Diese Atmosphäre erreicht man nur mit Hilfe von ästhetischen Entscheidungen, nicht aber durch die Funktionalität des Gebäudes; die Schönheit und Eleganz der ausgewählten Formen und Materialien beeinflussen letztendlich den Betrachter. Die Eleganz der Architektur entschuldigt sozusagen eventuelle Fehler bzw. das Fehlen eines rationalistischen Konzepts. Die Architektin hat versucht,  sich von den einengenden Regeln des Funktionalismus zu lösen und sich dem Konzept einer von Richtlinien freien Architektur anzunähern.

Das Fehlen von Funktionalismus bedeutet allerdings nicht, dass die Architektur an sich versagt hat,  sondern zeigt nur, dass es eine andere Art gibt, mit der Gesellschaft zu interagieren. Das Konzept zeitgenössische funktionale Richtlinien zu vermeiden, beschreibt Bruno Zevi in seinem Buch “Il linguaggio moderno dell'architettura” (Einaudi, Torino 1973), in dem er kritisch auf das Buch von John Summerson eingeht. Zevi erklärt, dass  Architektur kein Objekt sei, das als einziges Element in seinem Kontext existiere, sondern vielmehr ein Kunstwerk, das keinerlei Einschränkungen unterliegen solle, denn Architektur sei schließlich ein Mittel des freien Ausdruck, das aus  menschlichem Gefühl und menschlicher Stimmung entstehe. 

Der Funktionalismus und die ästhetische Gestaltung sind die Möglichkeiten der Architektur, mit der Gesellschaft zu kommunizieren, deshalb muss sich jeder Architekt für eines dieser Konzepte entscheiden, während die Gesellschaft einzig und allein die Aufgabe hat, die Vorzüge und die Nachteile der Bauten zu erkennen.  

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Das neue Firmengebäude von Marmi Rossi ist ein zweistöckiges Gebäude mit einem Untergeschoss  und erinnert an Marmorblöcke. Es besteht aus sechs Blöcken pro Stockwerk, d.h. jeweils zwei Blöcke sind aufeinander gestapelt, insgesamt sind es zwölf unterschiedlich große  Blöcke.  Längliche und schmale Fassadenfenster unterteilen die einzelnen Gebäudeblöcke und verlaufen vertikal an der Fassade entlang bzw. horizontal zum Dach hinauf. Die Fassadenfenster sollen die leeren Zwischenräume und Gänge zwischen den einzelnen Blöcken auf dem gegenüberliegenden Lagerplatz wiedergeben, wo sie zur Besichtigung stehen und verladen werden.   

vetrate interne edificioDie Architektin äußert sich zur Idee der Fensterreihe so: "Der Kunde bewegt sich im Bürogebäude genau so, als wenn er sich inmitten des Blocklagers befände und er soll auch dieselben Eindrücke erfahren. Zwischen den einzelnen Blöcken trifft er auf den starken Kontrast von Schatten und Licht, wie es eben in der Natur vorkommt". Um dieses Konzept zu verstärken, hat die Architektin beschlossen, die Granitverkleidung bis nach innen zu verlängern und sie nur durch eine Glasplatte ohne Rahmen zu trennen. Somit kann man nur schwer erkennen, ob man sich im Gebäude oder im Freien befindet. Die Architektin meint dazu: "Mein Anliegen war es, trotz der schweren Blockstruktur Leichtigkeit zu vermitteln".

Das Gebäude besteht aus drei Stockwerken, die jeweils eine Fläche von 250 m² haben:  die Höhe des Untergeschosse beträgt 2,40 m, die des Erdgeschosses 2,70 m und die des ersten Stockwerks 2,85 m. 

Die Außenmauern sind aus Beton und mit harter Dämmung verkleidet. Die Wände und Dachränder sind mit Granitplatten verkleidet. Diese unterschiedlich großen und verschieden farbigen Granitplatten wurden auf Ankern im Raster der tragenden Betonwand befestigt. Zwischen den vertikal und horizontal verlaufenden Platten am Dach befinden sich Ablaufkanäle für das Regenwasser, das mit Hilfe von hinter den Granitplatten versteckten Rohren abläuft.

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Die Fugen der Verkleidung stimmen mit den Rillen der Fassade überein, so dass es aussieht, als seien die  Fenster Teil der Verkleidung. Die Auswahl der Granittypen gestaltete sich äußerst schwierig, da das neue Bürogebäude schließlich als Showroom fungieren und die einzelnen Granittypen, die in der Firma zum Verkauf angeboten werden, zeigen sollte.  Die endgültige Entscheidung fiel dann auf dunklen Granit mit satinierter Oberfläche, wobei die Farben von Anthrazit bzw. Braun bis Grün reichen. Diese Granittypen wurden verwendet: Black Pearl, Café imperial, Brown Antique, Azul California, Virginia Black, Labrador Antique, Olive Green, Labrador Blue Pearl Tfv, Verde Marina, Imperial Brown, Azul Noche, Volga Blue.

Die langen und schmalen Fensterreihen haben einen in der Wand versteckten Rahmen und die Fensterecken sind stoßverbunden. Die Fenster der Büroräume sind zweifach verglast, während die großen Fensterfronten aus Verbundsicherheitsglas (VSG) bestehen. Die horizontal verlaufenden Fenster des Daches haben eine leichte Neigung, damit das Regenwasser problemlos ablaufen kann.

Der südliche Haupteingang mit acht breiten Stufen sowie der separate Eingang für die Fahrer werden nachts mit kleinen Spotlights beleuchtet. Über dem Eingangsblock ist auf einem Granitstück das Marmi Rossi Logo installiert. 

Der Nebeneingang befindet sich auf der nördlichen Seite des Gebäudes und ist ebenerdig. Die westliche Gebäudeseite zeigt zur Straße, während die östliche Gebäudeseite an die bereits vorhandene Lagerhalle angrenzt, die das Dach des Bürogebäudes überragt. Hier hat die Architektin das große und gut beleuchtete Firmenlogo anbringen lassen, das auch nachts von Weitem gut zu sehen ist. Diese Gebäudewand soll an den Kran erinnern, der die Granitblöcke auf dem Blockplatz bewegt. 

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